Die Kunst der Verkostung
Um einen Saint-Émilion zu verkosten, genügen einige einfache Schritte, um ihn kennenzulernen, zu erspüren, zu verstehen und auf natürliche Weise zu genießen.
Es gibt eine einzige Methode, die sich an den intuitiven Gesten des Weingenusses orientiert:
anschauen, riechen, probieren (je nach Situation ausspucken oder trinken) und schließlich ein Urteil fällen.
Diese einfachen Handlungen lassen Raum für Staunen, Genuss, Fantasie und zahlreiche Assoziationen – denn das Empfinden ist zutiefst persönlich.
Nehmen Sie den Wein in einem geeigneten Glas zur Hand, das seine Aromen und Farben optimal zur Geltung bringt.
Halten Sie das Glas am Stiel statt am Kelch, um den Wein nicht durch die Wärme Ihrer Hand zu beeinflussen.
Betrachten Sie den Wein – der erste Blickkontakt ist faszinierend. Dieser Schritt lädt dazu ein, die vielfältigen Farbnuancen seiner Robe zu entdecken. Neigen Sie das Glas etwa 45° vor sich. Ein neutraler, weißer Hintergrund unter dem Glas bringt die wahre Farbe zur Geltung und lässt keine Nuance entgehen. Beim Betrachten können Sie Rückschlüsse auf die Intensität und das Alter des Weins ziehen: Ist er dunkel – also dicht und tanninreich – oder eher hell und leicht?
Wirkt er violett, also jung, oder orange, was auf Reife hinweist? Lassen Sie den Wein an den Glaswänden entlangfließen und beobachten Sie die „Tränen“, die langsam hinablaufen.
Diese Tränen – auch Beine genannt – geben Aufschluss über den Alkoholgehalt des Weins: Je mehr Tränen sichtbar sind, desto alkoholreicher, kraftvoller und runder zeigt sich der Wein am Gaumen.
Die Weine aus Saint-Émilion sind natürlich rot, aber im Laufe ihres Lebens schillern sie in allen Schattierungen. In jungen Jahren dominiert die rubinrote Farbe. Später treten Granatapfel- und Purpurreflexe auf. Im Laufe der Entwicklung des Weins machen diese Platz für ziegelrote und orangefarbene Nuancen. Ältere Weine schließlich färben sich braun, wenn das Tageslicht durch den kostbaren Nektar fällt. Alles ist also nur eine Frage der Reife.
Am Wein zu riechen, ermöglicht es, seine angenehmen Aromen differenziert wahrzunehmen. Ein sanftes Schwenken des Glases fördert die Verdunstung der Duftstoffe. Die sich entfaltenden Aromen wirken dadurch reicher und intensiver.
Die Weine aus Saint-Émilion bestehen in der Regel zu etwa 70 % aus Merlot, 20 % aus Cabernet Franc und 10 % aus Cabernet Sauvignon. Merlot bringt Aromen von kleinen roten und schwarzen Früchten mit sich. Cabernet Franc verleiht den Weinen Finesse und Eleganz. Cabernet Sauvignon schließlich sorgt mit seinen charaktervollen Tanninen für Struktur und Langlebigkeit.
Ist der Wein jung, zeigt er frische, fruchtige Aromen. Im gereiften Zustand entfaltet er komplexe Noten von Weinbrand, Wildleder, Röstnoten und mehr.
Führen Sie das Glas zum Mund und kosten Sie den Wein – ein faszinierender Moment. Der Nektar berührt Ihre Lippen, die Augen schließen sich wie von selbst. Warten Sie einen Augenblick. Ein kleiner Schluck genügt, um die vier Grundgeschmacksrichtungen – bitter, sauer, süß und salzig – wahrzunehmen. Lassen Sie den Wein dann im Mund kreisen, damit sich seine Aromen und seine Struktur vollständig entfalten können. Sie spüren die Textur: süßlich oder säuerlich, lebendig oder trocken.
Atmen Sie anschließend etwas Luft ein, um sie mit dem Wein zu vermischen und Ihre Geschmacksknospen zu aktivieren – dieser Vorgang wird Retro-Olfaktion genannt. Zum Schluss schlucken (oder spucken) Sie den Wein: Der Nachklang und der lange Abgang entfalten sich nun vollständig.
Jeder hat die Werkzeuge, die ihm zur Verfügung stehen. Zwei Augen, eine Nase, ein Mund. Und nicht zu vergessen das Gedächtnis, das ebenfalls eine herausragende Rolle spielen kann. Einige Saint-Émilion-Weine hinterlassen bleibende Erinnerungen. Ihre Namen sind mit so vielen Gefühlen verbunden, dass sie unter Tausenden wiedererkannt werden.
Das Vokabular von Fachleuten, Önologen und Weinliebhabern ist reich an spezifischen Begriffen. In unserem Lexikon finden Sie eine Auswahl grundlegender Begriffe, die Ihnen helfen, „über einen Wein zu sprechen“. Dennoch gilt: Die Weinprobe ist sowohl eine Übung als auch ein persönliches Vergnügen. Lassen Sie sich nicht einschüchtern – sagen Sie einfach, was Sie empfinden. Mit etwas Übung wird sich Ihr Wortschatz erweitern und Ihre Beschreibungen werden präziser. Vollmundig, berauschend, ehrlich … finden Sie das passende Adjektiv, um den verkosteten Wein treffend zu beschreiben!
Die Verkostung eines Weins ist ein subjektives Vergnügen. Dennoch lassen sich manche Weine auf objektive und nachvollziehbare Weise als große Weine erkennen.
Der Weinliebhaber irrt sich nicht: Am Gaumen erkennt er die Harmonie zwischen drei klar definierbaren Komponenten – Alkohol, Säure und Tannin.
Wenn diese drei Elemente in einem feinen Gleichgewicht stehen und der Wein zudem über einen gelungenen Abgang, ein lang anhaltendes Aroma und ein interessantes Lagerungspotenzial verfügt,
kann man mit Recht von einem großen Wein sprechen.